Glück kennt keine Behinderung - Interview mit Fotografin Jenny Klestil
Wenn ich mit dem Bus zu mir auf Arbeit fahre muss ich einmal umsteigen und stehe meistens an einer Haltestelle in der Nähe eines Behinderten Werkes. Dadurch stehen auch oft Behinderte Menschen mit an meiner Haltestelle. Ich glaube ich kann von mir behaupten, dass Behinderte Menschen für mich zum Leben dazu gehören. Immer wieder bin ich in meinem Leben mit Behinderten Menschen in Berührung gekommen.
Auf meinem Schulweg stand ich immer an einer Haltestelle die sich an einer Gehörlosenschule befand. Ich dachte als Kind immer, dass Menschen mit Behinderungen von mir Mitgefühl oder eine besondere Behandlung bräuchten, aber die Kinder von der Gehörlosenschule hatten teilweise ein gesünderes Selbstbewusstsein als ich. Natürlich kommt es auf die Schwere der Behinderung an, aber ich begriff schnell, dass Behinderte sich sehr gut in der Gesellschaft zurecht finden wenn man ihnen die Möglichkeiten gibt und sie auch lässt.
Auf dem Weg zur Schule fuhr ich mit dem Bus immer an einem Behindertenwerk vorbei und später befand sich meine Berufsschule neben einer Behindertenwerkstatt und einem Getränkeladen der nur von Menschen mit Behinderung geleitet wurde.
Im Biologieunterricht erfuhr ich das erste Mal von Trisomie 21 damals wusste ich noch nicht, dass dieses Thema in der Schwangerschaft auch von Bedeutung sein könnte.
Das Downsyndrom sieht man den Menschen direkt an und jeder kennt sicher die Äußerungen "schau da nicht so hin". Bei den Fotos von Fotografin Jenny Klestil ist Hinsehen aber erwünscht. Ihre Models haben ein besonderes Extra und diese Fotos kann man inzwischen in einer Wanderausstellung ansehen.
Jenny war so nett und hat mir ein paar Fragen beantwortet.
Katharina:
Liebe Jenny, über Instagram sind mir eines Tages Deine „besonderen“
Bilder aufgefallen und sofort war ich von Deiner Idee Menschen mit
Downsyndrom zu fotografieren angetan. Die Bilder strahlen eine
Leichtigkeit, Schönheit und Freude aus.
Wie
entstand diese Idee?
Jenny:
Diese Idee entstand durch einen wunderbaren Zufall im März 2015,
eine Woche vor dem Welt Downsyndrom Tag, der jährlich am 21.3.
stattfindet. Ich wollte dieses Thema einmal umsetzen
und habe, wie ich damals noch dachte, das Ganze für
eine einmalige ehrenamtliche Aktion für den Tag angeboten. Daraufhin
haben sich direkt ca. 10 Familien gemeldet die ich recht schnell
fotografiert habe, daraus sind die nächsten entstanden
und ich sah mich vor einem tollen großen Berg an wunderbaren
Bildern, die ich nicht nur im Studio oder auf dem Computer zeigen
wollte – ratzfatz war die Idee einer Ausstellung mit dem Thema
Glück kennt keine Behinderung geboren.
Nun
ist es die 31. Ausstellung und weit über 240 Familien die mitgemacht
haben – ein Ende ist nicht in Sicht.
Katharina:
In den letzten Jahren bin ich auch schon mit dem Thema Downsyndrom in
Kontakt gekommen und empfinde Menschen mit dieser Behinderung als
besonders fröhlich, sensibel und gefühlvoll. Merkst Du dies auch in
Deinen Shootings?
Jenny:
Ich denke man kann es genauso wenig bei
durchschnittlich „normalen“ Menschen verallgemeinern, wie
auch bei Menschen mit Trisomie 21, jeder hat seine
Persönlichkeit mit Höhen, Tiefen, Witz und Traurigkeit, genauso wie
mit bockigen und weniger lustigen Momenten. Menschen mit Downsyndrom
haben oftmals das Problem als „immer lieb und fröhlich“
dargestellt zu werden. Ich kann nach knapp 19 Monaten
in denen ich von klein bis groß ganz wunderbare Menschen
fotografieren durfte behaupten, dass sie zum Glück nicht alle immer
fröhlich und gut gelaunt sind, jeder hat seinen eigenen Kopf und das
ist gut so.
Die
Ehrlichkeit und direkte Art ist allerdings ein ganz großer Plus
Punkt, ebenso das Leben im Hier und Jetzt, was es für mich
unheimlich einfach macht meine kleinen und großen Models so zu
fotografieren wie sie sind.
Katharina:
Was möchtest Du mit Deinen Bildern erreichen?
Jenny:
Ich möchte mit dem Projekt erreichen, dass man
keine Angst vor der Diagnose Downsyndrom
hat und sich ein Leben mit einem Kind,
welches diese Besonderheit hat,
vorstellen kann. Eine Abtreibungsrate von 95 % finde
ich unglaublich hoch. Mich schockiert ebenso, dass
immer noch viele eine andere Vorstellung haben und sich
das vielleicht ein wenig mit meinen Bildern
ändert.
Katharina:
Wenn ich an mich selber vor der Kamera denke, weiß ich, dass ich
erst eine Weile brauche um locker zu werden, ist es bei Deinen
besonderen Models auch so?
Jenny:
Meine Models mit Extra sind immer sofort da und
leben im Jetzt – der Vorteil zu uns Durchschnittsmenschen
ist, dass sie sich toll und schön finden ohne an sich herumzumäkeln
oder zu zweifeln. Davon können wir uns alle eine
Scheibe abschneiden.
Katharina:
Deine Bilder kann man in Ausstellungen ansehen, wie reagiert die
Umwelt auf die Motive und auf die Aktion? Und wie ist die Reaktion
der Models wenn sie sich auf den Fotos sehen?
Jenny:
Die Ausstellung wird immer populärer und reist seit
einem Jahr durch Deutschland und durch
die Schweiz, ein Ende ist nicht in Sicht, was
mich unglaublich freut. Bisher sind die Reaktionen nur positiv. Am
meisten freut es mich wenn sich meine kleinen und
großen Models auf einer Ausstellung
wiedersehen und vor stolz und Freude
platzen. Das sind viele der wunderbaren Momente
weswegen ich es mache.
Katharina:
Du bist selber Mutter von 3 Kindern, was löst die Begegnung mit den
Familien in Dir aus?
Jenny:
Jede Begegnung ist für mich eine Bereicherung und
zeigt mir oft im Alltag wie oft wir uns an unwichtigen
Dingen reiben und stressen lassen. Viele Familien
mit Extra haben mir gezeigt, dass es sich nicht mehr
lohnt über die kleinen Dinge aufzuregen und einfach
etwas gelassener zu werden.
Meine
Kinder kommen öfter zu Ausstellungen mit und profitieren von den
Momenten mit den anderen Kindern und Jugendlichen. Das ist für mich
unbezahlbar!
Katharina:
Ist das Thema Downsyndrom Deiner Meinung nach in der Gesellschaft ein
Tabu Thema oder sind die Menschen toleranter und offener im Umgang
mit den betroffenen Menschen geworden?
Jenny:
Ich habe den Eindruck, dass es
einerseits offener angenommen wird und es andererseits
durch die Möglichkeiten der pränatal Diagnostik
immer weniger Menschen mit Extras werden,
was mich sehr traurig und nachdenklich stimmt.
Katharina:
Dieses Projekt betreibst Du ehrenamtlich, wie viel Zeit investierst
Du dafür?
Jenny:
Ich investiere zwischen 2 und 6 Stunden pro Tag
plus Wochenenden. 2/3 Ausstellungen pro
Monat, Social Media Kanäle
wie Facebook, Instagram, Twitter.
Dazu Webseiten, Nachrichten
, Interviews , Vorbereitungen der
Ausstellungen, kostenlose Fotoshootings,
Nachbearbeitung,Post, Abzüge,
Rahmen, Anbringung der Bilder
etc.
Aber
all das ist es wert wenn ich durch die Augenblicke und Momente
bezahlt werde die vielen verwehrt bleiben .
Katharina:
Wie kann man Deine Arbeit unterstützen und was sind Deine Wünsche
für die Zukunft?
Jenny:
Mein Arbeit kann man unterstützen in dem man als Familie
mit Extra mitmacht, meine Seiten teilt,
die Bilder kommentiert oder einen Ausstellungsort
bereitstellt .
Außerdem
gibt es noch eine Spendenseite auf der es möglich ist das Projekt
mit kleinen und großen spenden zu unterstützen :
Meine
Facebook Seite
Instagram
:
Twitter
:
Katharina:
Ich bedanke mich ganz sehr bei Dir für das Interview und werde Deine
Arbeit weiterhin begleiten und beobachten.
Die Bilder zeigen sehr schön, dass es Menschen sind, Menschen die leben und lieben. Die Empfinden wie Du und ich und eine Bereicherung für die Gesellschaft sind.
Hinschauen ist wichtig, aber nicht abwertend. Die Integrierung ist in unserer Gesellschaft fortgeschritten, aber noch weiter ausbaufähig. Meine Große geht an eine Schule an die auch Schüler mit Migrationshintergrund und Integrationsschüler besuchen. Diese Schule hat ein ganz besonderes Konzept und ermöglicht das gemeinsame Lernen, Verstehen und Tolerieren. Leider gibt es davon noch nicht so viele und das sollte sich wirklich ändern.
Bis zum 25. November findet bei uns in Heidenau noch eine Ausstellung von "Glück kennt keine Behinderung" statt die werde ich mir ansehen gehen. Ausstellungsorte in Eurer Nähe findet Ihr z. B. auf der Homepage.
Wie und wo sind Eure Berührungspunkte mit Behinderten Menschen im Alltag?
bitte schreibt Menschen mit Behinderung... der Mensch sollte und steht im Vordergrund nicht die Behinderung..... Danke Es ist einfach wertschätzender den Menschen vor die Behinderung zu stellen
AntwortenLöschenDa hast Du vollkommen recht. Danke für Deinen Kommentar.
LöschenEin ganz toller Bericht! Wow! Und die Bilder sind der Wahnsinn! Habe selbst eine Verwandte mit Trisomie 21 und sie hat erst ihren 66 Geburtstag gefeiert!! Menschen mit Behinderung wissen das Leben auch meist viel mehr zu schätzen, eine Eigenschaft die wir "gesunde" Menschen auch oftmals mehr bräuchten.
AntwortenLöschenlg Nadine von NannisWelt
Danke für Deinen Kommentar Nadine. Ja, wir sollten uns alle öfter bewusst sein wie schön es ist zu leben, egal wie schwarz oder ärgerlich so mancher Tag ist.
LöschenLieben Gruß zurück
Ein toller Bericht. Beim Interview hast du tolle Fragen gestellt.
AntwortenLöschenkiss, cleo
www.creativschreiben.blogspot.com
Liebe Cleo, vielen Dank :)
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